Poesie "den Fremden wieder lieben, der du Selbst warst" & Tantraphilosophie

Ihr Lieben, 

in meiner ersten Inspiration vom Mind&Life Symposium erwähnte ich dieses Gedicht "Love after Love" von Derek Walcott.

Jon Kabat-Zinn hatte das Gedicht vorgetragen in unserer Meditation im Rahmen der Abschlussveranstaltung. Walcotts Worte trafen mich sofort ins Herz: 

The time will come 
when, with elation 
you will greet yourself arriving 
at your own door, in your own mirror 
and each will smile at the other's welcome, 

and say, sit here. Eat. 
You will love again the stranger who was your self.
Give wine. Give bread. Give back your heart 
to itself, to the stranger who has loved you 

all your life, whom you ignored 
for another, who knows you by heart. 
Take down the love letters from the bookshelf, 

the photographs, the desperate notes, 
peel your own image from the mirror. 
Sit. Feast on your life." 

(Derek Walcott)

Mein Versuch, "Love after Love"  aufs Deutsche zu übersetzten: 

"Die Zeit wird kommen
wenn du, mit Hochgefühl
dich selbst begrüßen wirst
an deiner eigenen Tür, in deinem eigenem Spiegel
und jeder wird über das Wilkommen des anderen lächeln, 

und sagen, setzte dich. Iss. 
Du wirst den Fremden wieder lieben, der du selbst warst.
Gibst Wein. Gibst Brot. Gibst dein Herz zurück
zu ihm selbst, zu dem Fremden, der dich liebte

dein ganzes Leben, den du ignoriertest 
für einen anderen, der dich auswendig kennt. 
Nehme die Liebesbriefe vom Bücherregal, 

die Fotos, die verzweifelten Notizen, 
schäle dein eigenes Bild vom Spiegel. 
Sitze. Genieße dein Leben."

Die englische Originalversion mag rhytmischer klingen, doch auch die deutsche Sprache erlaubt es uns, die Tiefe des Gedichtes zu verstehen. 

Achtsamkeit, Bewusstsein & Selbstliebe

Für mich ist das Gedicht eine Erinnerung an die Selbstliebe. All' die Leidenschaft - unser Leuchten für eine bewusstere Welt - kann sich nur entfalten, wenn wir unsere Achtsamkeit zunächst auf uns selbst richten. 

Walcott sagt "You will love again the stranger who was your self.". Du wirst den fremden Teil in dir wiedererkennen und lieben, wenn du achtsam einen Fuß vor den anderen setzt.

Bewusstsein in der Tantraphilosophie

Dieser fremde Teil, den es wieder zu entdecken gibt, ist für mich mein Bewusstsein. Damit meine ich den Teil in mir, der über die Dinge Bescheid weiß. Den Teil, der mein alter Freund ist, weil schon immer an meiner Seite, und an den ich die Kontrolle abgeben kann.

In der Tantraphilosophie besteht der Ansicht, dass wir alle diesen unveränderlichen Teil in uns tragen. Dort wird er als purusha bezeichnet.

Die Maske, die Walcott vom Spiegel abschält, ist für mich die Beziehung zu einer imaginären perfekten Version meiner Selbst. Mein Ego, das die Kontrolle an sich zieht.

Welchem Ideal laufe ich hinterher?

Die Antwort auf diese Frage zeigt dir wie schnell sich dein Ego mit einer Idee identifiziert. Die Idee ist veränderlich: Heute muss ich die perfekte Freundin sein, morgen die perfekte Businessfrau.

Achtsamkeit als Weg aus dem Perfektionismus 

Es gelingt wohl kaum jemanden von uns, permanent und ununterbrochen achtsam zu sein. Allerdings können wir uns immer wieder  erinnern.

Übung:

Du kannst dir zum Beispiel ein Elemente der Natur oder das Glockenläuten einer Kirche als Erinnerung nehmen. Thich Nhat Hanh beschreibt in seinem Buch "The Art of Living", dass in einigen buddhistische Zentren regelmäßig Glocken läuten. Dieser Ton lässt alle anhalten und innehalten. Du suchst dir also etwas, das dich erinnert in den Moment zu kommen und atmest achtsam. Nehme dir 5-10 Atemzüge, sobald dich deine Erinnerung hinweist. 

Diese Verbindung zu deinem BewusstenSein ist so wichtig!

Tantraphilosophie & Perfektionismus

Die Wissenschaftlerin Brené Brown trifft es meiner Meinung auf den Punkt, wenn sie sagt "So zu leben, dass Worte und Taten nicht übereinstimmen raubt viel Energie." (Brown, 2012) Wir können unseren perfekten Vorstellung, an denen wir anhaften, nicht gerecht werden. 

Im Gegenteil, auch in der Tantraphilosophie besteht die Ansicht, dass diese Anhaftung uns eng macht. Als eine der 5 Kanchukas grenzt z.B. Raga nach der Tantraphilosphie die Fülle unseres Herzens ein, in dem wir Sehnsüchten nach laufen. Die Maske raubt dir Energie, weil du ihr nie gerecht werden kannst. 

Und ich denke, dass dies auch die Essenz des Gedichts von Walcott für mich beschreibt:

Wir können zu unserer perfekten Masken nie die Beziehung aufbauen, die wir zu dem Fremden hatten, der uns und den wir einmal geliebt haben. Nur durch Selbstliebe finden wir die Beziehung wieder, in der wir unser Leben genießen können. 

 

Was bewegen Walcotts Worte in dir? 

 

Namasté 

deine Nadine 

 

Weiterführende Inspiration: beide Bücher sind wundervolle Werke :) 

Brené Brown (2012) "Die Gaben der Unvollkommenheit"

Thich Nhat Hanh (2017) "The Art of living"